12.04.2017 | Olaf Thiel

Nachhaltigkeit auf der Straße: Der E-Highway im Test

Lkw angedockt mit einem Stromabnehmer unter einer Oberleitung – sieht so die Zukunft des Fernverkehrs auf deutschen Autobahnen aus? Auf der A 1 bei Lübeck und der A 5 bei Darmstadt werden jetzt Teststrecken für den E-Highway errichtet.  

Die Frage, nach dem Elektroantrieb im Lkw-Fernverkehr gilt bisher als nicht gelöst. Insbesondere aufgrund der geringen Energiedichte derzeitiger Akkulösungen und langer Ladezeiten hat die E-Mobilität derzeit keinen guten Stand. Mehrere Lkw-Hersteller und Zulieferer, allen voran Siemens in Deutschland, versuchen mit dem E-Highway den Gegenbeweis anzutreten – ohne Batterien und zeitaufwendiges Aufladen. Das Prinzip: Mit Hybridtechnik und intelligenten Stromabnehmern ausgerüstete Lkw können aus Oberleitungen elektrische Energie beziehen und somit emissionsfrei fahren. Siemens verfolgt mit dem E-Highway das Ziel, den Energieverbrauch von konventionellen Lkw zu halbieren und den CO2-Ausstoß mit dem Einsatz von erneuerbaren Energien um 6.000.000 Tonnen zu senken.

Im Juni 2016 ging der erste eHighway auf einer öffentlichen Straße in Betrieb. Foto: Scania CV AB

Oberleitungs-Lkw starten auf der A1 und A5

Autofahrer in Deutschland werden auf der A 1 in Lübeck und auf der A 5 im Bereich Darmstadt demnächst erste Teilabschnitte des E-Highways zu Gesicht bekommen. Bis Ende 2018 sollen die jeweils sechs Kilometer langen Strecken in Betrieb genommen werden. Kooperierende Speditionen testen mit Hybrid-Lkw die Teststrecke. Der Ausbau wird vom zuständigen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) gefördert. Um dem Oberleitungs-Lkw auf dem hiesigen Straßennetz jedoch zum Durchbruch zu verhelfen, müssten entlang Tausender Kilometer Autobahn Fahrleitungsanlagen und das Stromversorgungsnetz für die wichtigsten Routen des Warenverkehrs installiert werden. Die Kosten für den Ausbau einer derartigen Infrastruktur sind entsprechend hoch. Ein Kilometer Oberleitung kostet rund eine bis zwei Millionen Euro. Und auch die Aufwände für einen umgerüsteten Truck sind derzeit in etwa dreimal so hoch wie ein herkömmlicher Lkw. Darüber hinaus nehmen die CO2-Emissionen in Summe nur ab, wenn auch der eingespeiste Strom aus erneuerbaren Energiequellen stammt.

Entwicklung des E-Highway

Das BMU rief bereits 2010 das Förderprojekt ENUBA („Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung von Ballungsräumen“) ins Leben. Das unterstützte Entwicklungen, die sich damit beschäftigten, wie sich Lkw-Verkehr energieeffizienter und umweltfreundlicher gestalten lässt. Im Rahmen dieses Projektes hat Siemens in Zusammenarbeit mit der TU Dresden und Scania den E-Highway entwickelt. Die Ingenieure erprobten E-Lkw, Energieversorgung, Fahrweg und Betriebsleitstelle auf einer eigens dafür errichteten Teststrecke in der Uckermark, nördlich von Berlin.

Hybridantrieb für Lkw

Beim Hybridantrieb für den E-Highway arbeiten Diesel-Verbrennungsmotor und elektrischer Motor hintereinander, also seriell. Die Kombination erzeugt sozusagen als eigenes Kraftwerk den notwendigen Strom zum Fahren. Für die Fortbewegung ist allein der Elektromotor zuständig: Er treibt die Räder über die Achsen an. Eine mechanische Verbindung besteht zwischen den beiden Motoren nicht.

Die Technik für die Stromzufuhr ist im Prinzip einfach: Sensoren auf dem Lastwagen erkennen, wenn sich über dem Fahrzeug eine Oberleitung befindet. Dann werden die auf dem Dach des Führerhauses befestigten Stromabnehmer automatisch oder manuell per Knopfdruck ausgefahren. Diese stellen den Kontakt zwischen Strom und Elektromotor des Lastwagens her. Der Verbrennungsmotor geht aus und der Lastwagen klingt nun ein wenig wie eine Straßenbahn. Endet die Oberleitung oder will ein Lkw überholen, können die Fahrzeuge wieder auf Dieselbetrieb umschalten oder der Akku für Elektroantrieb springt an. Das offene Konzept für solche seriellen Hybridantriebe ist enorm flexibel, weil sich als Antrieb für Stromgeneratoren auch Benzin- oder Flüssiggasmotoren einsetzen lassen. Ebenso Brennstoffzellen und Gasturbine, da dem Elektromotor schließlich egal ist, woher der Strom kommt.

Die Siemens-Innovation versorgt Lkw über eine Oberleitung mit Strom. Das bedeutet nicht nur eine Halbierung des Energieverbrauchs sondern auch eine Verringerung der lokalen Luftverschmutzung- Copyright: Scania CV AB

Oberleitungsbus als Vorläufer

Die Idee der Oberleitung ist nicht neu: Elektrobusse, die ihren Strom aus einer Fahrleitung beziehen, gab es schon im 19. Jahrhundert. Kein anderer als Werner von Siemens ließ im Jahre 1882 einen schienenlosen Wagen mit Strom aus einer Oberleitung durch Berlin fahren. Die elektrisch betriebene „Elektromote“ war der Urahn des Oberleitungsbusses, der auf der Pariser Weltausstellung 1900 zum Exportschlager avancierte. Bis in den 1970er-Jahren fuhren „Obusse“ in der Hauptstadt. Heute gibt es nur noch im brandenburgischen Eberswalde, im nordrhein-westfälischen Solingen sowie im baden-württembergischen Esslingen Oberleitungsbus-Netze für den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland. Die Berliner Verkehrsbetriebe prüfen aber derzeit, ob sie wieder Linien für Obusse einführen.

Ausgeklügeltes Energiesystem

Die Antriebstechniken von Oberleitungs-Truck und Oberleitungs-Bus unterscheiden sich beim Stromabnehmer. Die Busse verfügen in der Regel über eine kleine, U-förmige Vorrichtung. Zudem können sie nach einem Überholmanöver nicht wieder „anbügeln“. Die Variante für den Hybrid-Lkw verfügt dagegen über einen breiten und flachen Stromabnehmer. Dieser kann während des Überholens bei Geschwindigkeiten von bis zu 90 km/h von der Oberleitung abkoppeln und sich später wieder ankoppeln. Der Strom in den Oberleitungen stammt aus dezentralen Unterwerken, die sich an der Strecke befinden. Sie wandeln den Drehstrom aus dem öffentlichen Energieversorgungsnetz in Gleichstrom mit rund 600 Volt um, der dann in die Oberleitungen gespeist wird. Zusätzlich können die E-Lkw ihre elektrische Bremsenergie in das Versorgungsnetz auch zurückspeisen.

E-Highways in Kalifornien und Schweden

Im US-Bundesstaat Kalifornien steht Siemens zusammen mit dem Hersteller Volvo kurz vor der Eröffnung einer E-Highway-Strecke. Um die Luftverschmutzung auf einer Zubringerstraße zu den Seehäfen der Städte Los Angeles und Long Beach zu verringern, wurde auf einer Strecke von zwei Meilen ein Oberleitungssystem für einen Lkw mit Erdgashybridantrieb und einen mit Elektromotor samt Batterie-Stack installiert. Der US-Bundesstaat ist für seine strengen Umweltschutzvorschriften bekannt und beliebter Einsatzort von Automobilherstellern und Zulieferern, um emissionsarme Antriebskonzepte zu testen. In Schweden hat der Münchener Konzern seit 2016 auf der Autobahn nördlich von Stockholm bereits einen E-Highway-Teilabschnitt für Elektrohybrid-Laster in Betrieb. Die E16 verbindet dort zwei wichtige Industrieregionen. Hintergrund ist das Ziel der schwedischen Regierung, bis zum Jahre 2030 einen von fossilen Brennstoffen unabhängigen Transportsektor aufzubauen.

Weitere Hintergrundinformationen

In unserem Toll Collect-Blog berichten wir regelmäßig über alternative Antriebe für schwere und mittelschwere Lkw. Hier gibt es die Links zu den aktuellsten Artikel:

Nachhaltigkeit auf der Straße: E-Lkw mit alternativen Batterielösungen

Hersteller rüsten auf: Alternative Antriebe für schwere Lkw

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Deutschland ist großer Markt für alternative Antriebe

Nachhaltigkeit auf der Straße: Der Elektro-Lkw

 

Fotonachweis Titelfoto: Copyright: Scania CV AB

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