Karawane der weißen LKW auf Autobahn
23.08.2016 | Olaf Thiel

Autonomes Fahren auf der Überholspur

Beim Thema autonomes Fahren haben die Automobilindustrie und Politiker längst einen Gang höher geschaltet. Die Hersteller treiben die Mobilitätsrevolution voran, während der Gesetzgeber die entsprechenden gesetzlichen Weichen stellt. Für den Berufskraftfahrer wird sich dabei vieles ändern – und das zum Positiven.  

Einsteigen, zurücklehnen und dem Lkw das Fahren selbst überlassen. Was für viele noch nach Zukunftsmusik klingt, ist gar nicht so weit von der Realität entfernt: Im vergangenen April haben die europäischen Verkehrsminister erstmals ausgiebig über autonomes Fahren diskutiert. Mit der „Declaration of Amsterdam“ ist dabei ein Grundstein gelegt worden, um in naher Zukunft auf EU-Ebene einheitliche Rahmenbedingungen für autonomes Fahren zu schaffen.

Deutschland prescht in dieser Sache besonders voran. Das Bundesverkehrsministerium will noch in diesem Sommer den Weg für ein verändertes Straßenverkehrsgesetz ebnen. Darin soll erstmals festgelegt werden, dass automatisierte Systeme mit voller Kontrolle über ein Fahrzeug dem Fahrer gleichgestellt und somit grundsätzlich zugelassen sind. Darauf pochen im Hintergrund vor allem große Hersteller wie Daimler oder der Volkswagen-Konzern mit seinen Tochtergesellschaften MAN und Scania. Sie präsentieren fast monatlich neue Entwicklungen zu Assistenz- und teilautonomen Systemen. Noch sind derzeit die Einsatzgebiete für autonomes Fahren auf deutschen Straßen allerdings überschaubar. Nur mit Ausnahmegenehmigungen oder auf bestimmten Strecken dürfen teilautonom fahrende Lkw zum Einsatz kommen. Bekanntestes Beispiel ist der sogenannte Highway Pilot, den die Daimler AG seit geraumer Zeit auf Autobahnen testen darf.

5 Stufen des automatisierten Fahrens

Die „5 Stufen des automatisierten Fahrens“ veranschaulichen, dass Lkw inmitten einer Mobilitätsrevolution stehen. Autonomes Fahren benötigt keinen Fahrer mehr. Die Entwicklungen in der Branche fokussieren sich derzeit auf die zweite Phase mit dem teilautomatisierten Fahren. Quelle: Nach Verkehrsrundschau 23/2016, Seite 20

Berufskraftfahrer profitieren von neuen Entwicklungen

Aus Sicht des Berufskraftfahrers liegt der Vorteil der autonom fahrenden Lkw vor allem in der Entlastung auf langen Strecken. Ein Fahrer ist heute extremen Anforderungen ausgesetzt: Aufgrund der hohen Verkehrsdichte muss er stets aufmerksam sein. Und er steht unter einem enormen Zeitdruck. Für ihn ist die neue Technik leicht erlern- und bedienbar, sind Assistenzsysteme wie Stau- oder Spurhalteassistent doch längst selbstverständlich. Durch weitere Entwicklungen, vor allem in den Automatisierungsstufen drei und vier, wird sich für den Berufskraftfahrer einiges ändern. In Stufe vier ist der Fahrer bereits so weit von seinen Aufgaben entbunden, dass er sich administrativen Aufgaben widmen kann: etwa der Disposition seiner Touren oder der Planung kommender Transportaufträge. Das kann die tägliche Arbeitszeit mindern und wiederum für seine Gesundheit förderlich sein.

„Niemand will passionierten Autofahrern ihr Fahrvergnügen wegnehmen. Aber Autofahren heißt nicht immer Vollgas auf der Überholspur der Autobahn, sondern oft genug auch widrige Wetterverhältnisse, Staus, Bauarbeiten. Da ist es doch eine attraktive Vorstellung, das Fahren auch mal ans Auto abzugeben.“ Dorothee Bär, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur der DIHK Konferenz: „Digitale Zukunft@Mittelstand“

Auch die Be- und Entladung soll automatisiert werden

Die Entwicklung konzentriert sich nicht nur auf die Straße. Der Berufskraftfahrer soll auch an anderen Stellen entlastet werden. Die Technologie schafft beispielsweise heute schon bei langwierigen Rangieraufgaben Abhilfe. Der Zulieferer ZF aus Friedrichshafen hat eine Technologie entwickelt, mit der sich ein Sattelzug per Tablet rangieren lässt. So soll die Be- und Entladung künftig automatisiert ablaufen. Das System dazu besteht aus einem kamerabasierten Leitungssystem an der Laderampe. Dort erfassen die Sensoren den Lastzug und senden die Lenkbefehle an das Fahrzeug weiter. Dabei steht der Fahrer neben dem Lkw und sieht auf dem Display den Vorgang aus der Vogelperspektive. Im Notfall kann er eingreifen. Mit der Technik wollen die Ingenieure von ZF die Zahl der Rangierschäden reduzieren. Zudem können die Arbeitsabläufe auf den Speditionshöfen dadurch effizienter werden.

Transportunternehmen sparen durch autonomes Fahren

Bei den Speditionen wird eine sehr hohe Akzeptanz für autonomes Fahren erwartet. Denn mit vollautomatisierten Lkw, also jenen der Automatisierungsstufe vier, können relevant Kosten gespart werden – trotz der zu erwartenden höheren Anschaffungskosten. Das prognostizieren die Autoren der Roland Berger-Studie „Automated Trucks – The next big disrupter in the automotive industry“. Die Lenkzeiten der Fahrer verlängern sich und er kann die vorgeschriebenen Ruhezeiten im fahrenden Lkw einlegen. Das spart Personalkosten.

Die Zahl der Lkw-Unfälle soll mit den neuen Technologien drastisch sinken, was eine Reduzierung der Versicherungskosten nach sich ziehen wird. Und die Technik führt zu einer gleichmäßigeren Fahrweise, was wiederum den Treibstoffverbrauch reduziert und die Antriebstechnik schont. Gerade beim sogenannten Platooning, bei dem sich mehrere teilautonom fahrende Lkw zu einer Kolonne zusammenschließen, wird nachweislich weniger Kraftstoff verbraucht. Die Fahrzeuge kommunizieren miteinander hierzu über Radar, GPS und WLAN und können somit automatisch Spur und Distanz zueinander halten. Rund sechs Prozent Kraftstoff sparen solche Konvois ein.

Zugleich stellt die Studie langfristig noch andere Vorteile in Aussicht: Rund 90 Prozent der Fahrerkosten können sogar eingespart werden, wenn ein Lkw irgendwann gar keinen Fahrer mehr benötigt. Doch fahrerlose Lkw-Kabinen wird man auf deutschen Autobahnen in absehbarer Zeit nicht sehen. Die bereits hohen Investitionen für die technologischen Vorstufen lassen viele Spediteure von diesem Unterfangen Abstand nehmen. Denn jede Stufe der Automatisierung geht mit steigenden Kosten einher, die sich nach heutigem Kenntnisstand nur sehr langsam amortisieren. Ein weiteres Hindernis ist die Haftungsfrage bei Unfällen, die zurzeit politisch und gesellschaftlich mit der Wirtschaft erörtert wird. Doch das wird die Industrie nicht daran hindern, ihre Entwicklungen voranzutreiben.

Kommentare (2)

Vagt
22.01.2017 14:41

interessanter Beitrag, ich habe mich auch auf meinem Blog beschäftigt:
http://automatisiertes-auto.de/

Viele Grüße

Jürgen Vagt

24.01.2017 11:35

Lieber Herr Vagt,

vielen Dank für den Link. An unsere Leser: Viel Spaß beim Weiterlesen.

Herzliche Grüße
Stephanie Kunert